"Ruths Name ist vorgelesen worden. Sie muss mit dem allerletzten Zug mitfahren, übermorgen. Ohne Papa und Mama. An Mamas Hand geht sie von der Hauptbaracke zurück zu ihrem Häuschen. Ihr ist schlecht und sie hat Ohrensausen. Sie will nicht! Bestimmt ist es ganz schrecklich im Osten. Und wie soll sie Papa und Mama jemals wiederfinden?"

Gebannt sitzen wir - die Schülerinnen und Schüler der 9. Jahrgangsstufe – im Kellertheater und hören Julia Cortis, Sprecherin beim Bayrischen Rundfunk, zu, wie sie im Rahmen des jährlichen literarischen Herbstes aus dem Buch "Kinder mit Stern" von Martine Letterie vorliest.

Die Geschichte handelt von den sechs 6- bis 8-jährigen Kindern Bennie, Klaartje, Rosa, Jules, Ruth und Leo, die zur Zeit des Nationalsozialismus in jüdischen Familien in den von den Deutschen besetzten Niederlanden leben. Sie werden abgeholt und in das Lager Westerbork gebracht, wo sie auf ihre Deportation warten sollen. Im Kern steht die Naivität der Kinder, die sich der Tragweite der Ereignisse überhaupt nicht bewusst sind und das Bemühen der Eltern, ihre Kinder vor all dem abzuschirmen. Dabei schafft es die Autorin, diese sehr tiefgehende Thematik auch für jüngere Leser begreiflich zu machen, jedoch auf eine sehr feinfühlige, kindgerechte Art und ohne verstörend zu wirken. Außerdem entstand das Werk in Zusammenarbeit mit dem Erinnerungszentrum Westerbork, wo tatsächlich viele Kinder gefangen gehalten wurden, was es historisch sehr akkurat macht.

Frau Cortis erzählt diese sehr ernste Geschichte gefühlvoll und mitreißend, ganz nach ihrem Motto “Im Sprechen wie in der Musik stimmig gestimmt sein – und es hörund fühlbar machen.”. Das ermöglicht es uns, uns in die Kinder und ihre Situation hineinzudenken und uns ihre Lage vor Augen zu führen. In einer anschließenden Diskussion stellen wir fest, dass es uns alle trotz der eigentlich jüngeren Zielgruppe sehr betroffen und nachdenklich gemacht hat. Anschließend sprechen wir noch weiter mit Frau Cortis über die Zeit der Judenverfolgung und auch über ihr Engagement im Projekt "Stolpersteine", welches in ganz Europa kleine Gedanktafeln die sog. Stolpersteine zur Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit aufstellt, was sicher auch in die Vorlesung eingeflossen ist.

Allgemein möchten wir uns bei Frau Cortis und auch dem Kulturkreis Modern Studio
e.V., der den literarischen Herbst organisiert, herzlich für dieses unvergessliche
Erlebnis bedanken. Von Sebastian Dohmen