Es sind Lieder mit simplen, harten Beats, die Zehnt-, Elft- und Zwölftklässler an diesem 09. November zu hören bekommen, die Liedtexte sind kaum verständlich, werden aber im Film als Untertitel eingeblendet und in Kombination mit der martialischen Körpersprache der Besucher von Rechtsrock-Konzerten ist die Botschaft unmissverständlich: Es geht darum, Hass zu säen, Gewalt zu verbreiten gegen die vermeintlichen Ausländer und Andersdenkenden und sich der eigenen Ideologie zu versichern - oder auch Konzertbesuchern diese demokratiefeindliche Haltung einzuhämmern.

An diesem 09. November, der ein Gedenktag für ganz unterschiedliche Ereignisse in der deutschen Geschichte ist, wie der Proklamation der Weimarer Republik (1918), der Wiedervereinigung (1989), aber auch der Novemberpogrome (1938), besucht der deutsche Filmregisseur Peter Ohlendorf das Camerloher-Gymnasium. Einer Einladung des Fachschaftsleiters für Geschichte, Andreas Decker, folgend kommt der Dokumentarfilm „Blut muss fließen“ zur Vorführung. Dieser erzählt die Geschichte des Journalisten Thomas Kuban, der in den Jahren 2003 bis 2010 rechtsradikale Konzerte mit verdeckter Kamera gedreht hat und dabei zeigen konnte, wie sehr die rechte Szene von Gewalt und Menschenverachtung durchdrungen ist. Dabei ist der Name „Thomas Kuban“ ein Pseudonym – der Journalist, der dahinter steckt, musste sich genauso tarnen, wie sein Alter Ego, das verkleidet als Neonazi an diesen Konzerten teilnahm und diese - unter Gefahr für sein eigenes Leben - filmte.

Erschütternd an dem Film ist nicht nur zu erkennen, wie Musik in der rechten Szene als Propagandamittel zur Verfestigung einer zutiefst menschenverachtenden und gewaltverherrlichenden Ideologie missbraucht wird, sondern auch, wie sich der Rechtsextremismus, von Politik und Strafverfolgungsbehörden lange Zeit unterschätzt, aus den dunklen Nischen hinein in die Mitte der Gesellschaft ausbreiten konnte. Obwohl Thomas Kuban die Demokratieverachtung der Neonazis mit seinem Filmmaterial beweisen konnte, wurde er von führenden Politikern nicht ernst genommen – das Thema Rechtsextremismus war nicht auf der Agenda der politischen Akteure. Dies änderte sich erst im Jahre 2011, als bekannt wurde, dass die neonazistische terroristische Vereinigung NSU eine Mordserie an neun Migranten und einer Polizistin begangen hatte.

Zu diesem Zeitpunkt war der Film „Blut muss fließen“ bereits aus privaten Geldern vorfinanziert; die Regiearbeiten wurden von dem politischen Filmemacher Peter Ohlendorf übernommen. Auf der Berlinale  erhielt der Film den 2. Preis des Alternativen Medienpreises 2012.

Und auch wenn der Film bereits neun Jahre alt ist, so hat er leider nichts von seiner Brisanz und einer geradezu noch immer dramatischen Aktualität eingebüßt. Nach der Filmvorführung konnten die Schülerinnen und Schüler mit Peter Ohlendorf ins Gespräch gehen. Der Film lud ein, auf unterschiedlichste Aspekte zu blicken, wie z.B. die Gefahr, der sich mutige Journalistinnen und Journalisten mit Recherchen in der rechten Szene aussetzen, das Gefährdungspotenzial gerade für junge Menschen, das von Rechtsrock ausgeht, die Rolle von Politik und Justiz, Gewalt und Hetze zu begegnen, und unser aller Aufgabe, sich gegen demokratiezersetzende Tendenzen zu wehren. Es gab am Camerloher viel zu besprechen an diesem 9. November 2021!

Silke Hatzinger