Klänge jüdischer Musik und hebräische Gebetstexte prägen die Atmosphäre am Beginn des Films „Wir sind Juden aus Breslau“. Aufgenommen wurden die Szenen in der neu restaurierten und im Jahr 2010 wiedereröffneten Synagoge in Breslau. Die ehemals deutsche Stadt hatte die drittgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands – nach Berlin und Frankfurt. Heute leben in der jetzt polnischen Stadt Wroclaw nur noch etwa 350 Jüdinnen und Juden, die in der Synagoge beten.
Damit stellt die Synagoge in Breslau gemäß der Überlebenden Gerda Bikales ein Symbol für das heutige Europa und seine jüdischen Gemeinden dar: Wunderschöne Hüllen mit vergleichsweise wenig Innenleben.
Auf Einladung des Fachschaftsleiters für Geschichte, Andreas Decker, ist die Filmemacherin Karin Kaper ans Camerloher gekommen, um ihren Film zu präsentieren. Gemeinsam mit ihrem Partner Dirk Szuszies verlieh sie 14 Zeitzeugen, die alle aus Breslau stammen, eine Stimme. 14 alte Menschen erklärten sich einverstanden, auf ihre Kindheit und Jugend zurückzublicken und darzustellen, wie der Holocaust ihr Leben für immer verändert hat. Bei der Machtergreifung Hitlers waren sie Kinder oder junge Teenies, die lebens- und erwartungsfroh in die Welt und auf ihre Zukunft blickten – genauso wie die Zehnt-, Elft- und Zwölftklässler, die an diesem Tag im Publikum sitzen. Die Menschen erinnern sich, wie sie mit Eltern und Geschwistern in Breslau lebten: Manche stammten aus streng jüdisch-orthodoxen Familien, andere aus sehr liberalen Elternhäusern. Es ist die Stärke des Films, an dieser Stelle den Facettenreichtum jüdischen Lebens im Breslau der 20er- und 30er-Jahre darzustellen. Doch wie unterschiedlich ihr jüdisches Leben auch verlaufen sein mag, sie alle eint das Schicksal der Verfolgung durch die Nazis. Die Zeitzeugen erinnern vor der Kamera ihre Flucht oder die Deportation in Konzentrationslager, den schmerzhaften Tod vieler Familienangehöriger, ihr eigenes Überleben und das Leben danach. Ihr Weg führte sie in die unterschiedlichsten Länder – in die USA, England, Frankreich, manche blieben nach dem Krieg in Deutschland, andere flohen nach Palästina und wirkten bei der Gründung Israels mit.
In den unterschiedlichsten Sprachen berichten die Menschen von ihrem Leben während und nach dem Holocaust. Darauf zielte auch eine der Schülerfragen im Gespräch mit der Regisseurin nach dem Film. Karin Kaper merkte an, dass sie es bemerkenswert fand, in welcher Sprache sich die Zeitzeugen an ihre Kindheit in Breslau erinnerten: Manche wechselten ins Deutsche, das einige von ihnen auch im hohen Altern noch bemerkenswert gut beherrschen. Andere erklärten resolut, kein Deutsch mehr sprechen zu wollen. Als Regisseurin von Dokumentarfilmen sei es ihr wichtig, Menschen in der Sprache sprechen zu lassen, in der sie sich am wohlsten fühlen – gerade bei sensiblen und hochemotionalen Themen. Auch sei es ihr Credo, Gesagtes nicht zu kommentieren. Sehr eindringlich wirken deshalb Szenen aus dem Film, die einige der interviewten Zeitzeugen aus Breslau im Gespräch mit Jugendlichen zeigen: Dafür waren die Zeitzeugen extra nach Breslau gereist und besichtigten mit den Jugendlichen Orte, die für sie von Bedeutung waren. Abraham Ascher geht im Gespräch mit den Jugendlichen auf den Balkon im Hotel Monopol, wo er als Siebenjähriger Hitler bei einer Rede beobachtete, Anita Lasker-Wallfisch steht mit anderen Jugendlichen im Bahnhof von Breslau, wo sie verhaftet wurde. Mit der nötigen Distanz und einer sensiblen Kameraführung werden diese Szenen eingefangen und die Gespräche zwischen den Zeitzeugen und den Jugendlichen dokumentiert.
Die Konfrontation mit der Vergangenheit verlangt beiden Generationen Stärke und Verantwortungsgefühl ab – der Dokumentarfilm „Wir sind Juden aus Breslau“ begnügt sich nicht mit dem Bericht der Zeitzeugen, sondern schlägt auch eine Brücke zu der jetzigen jungen Generation. Auch deshalb hatten die jungen Menschen am Camerloher im Gespräch mit der Regisseurin nach der Filmvorführung unterschiedlichste Fragen und Anmerkungen, die alle aufgearbeitet werden konnten.
Silke Hatzinger