Am 28. Februar besuchte Henriette Kretz, Überlebende des Holocaust, das Camerloher-Gymnasium, um Schülerinnen und Schülern der 9. bis 12. Jahrgangsstufe von der Verfolgung und Ermordung ihrer Familie während des 2. Weltkriegs zu erzählen und vor Diktatur, Ausgrenzung, Krieg und Vorurteilen zu warnen.

Als Kind einer jüdischen Familie wurde sie im damaligen Osten Polens geboren. Bald zog die Familie in die Kleinstadt Iwaniska in Zentralpolen um, wo Henriettes Vater als Arzt tätig war. Ihre Mutter war von Beruf Anwältin, widmete sich aber der Erziehung der Tochter. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen im Herbst 1939 floh die Familie zuerst ins inzwischen sowjetisch besetzte Lemberg (Lwiw) und dann ins benachbarte Sambor, wo der Vater ein Erholungsheim für Tuberkolose-Kranke leitete. Nach Hitlers Bruch des Pakts mit Stalin 1941 holten der Krieg und die Deutschen die Familie auch dort ein. Der Vater schlug das Angebot der Sowjets aus, mit ihnen zu fliehen, weil noch nicht alle jungen Patienten des Erholungsheims von ihren Eltern abgeholt worden waren.

Henriette wurde als Jüdin von der deutschen Besatzungsmacht verboten, die Schule zu besuchen. Bald wurde die Familie aus ihrer Wohnung vertrieben und musste in den jüdischen Stadtbezirk (Ghetto) umsiedeln, in dem kurze Zeit später ein Ghetto errichtet wurde. Als sie deportiert werden sollten, gelang es ihnen mit Hilfe eines Bekannten, eines ukrainischen Offiziers, sich zu verstecken.

Getrennt von den Eltern lebte Henriette einige Zeit in einer christlichen Familie, in der sie aber entdeckt und als einziges Kind in eine Frauenzelle des Gefängnisses gesteckt wurde. Sehr eindrücklich schilderte Frau Kretz, wie ein Neugeborenes in die Zelle geworfen wurde, dessen Mutter gestorben war. Es überlebte in eine Decke eingewickelt; vor einigen Jahren trafen sich die beiden.

Ihre Eltern schafften es, Henriette aus dem Gefängnis zurück ins Ghetto holen, doch als dieses aufgelöst werden sollte, mussten sich die Familie erneut verstecken. Frau Kretz lobte mit deutlichen Worten die Mut und die Opferbereitschaft des ukrainisch-polnischen Ehepaars, das sie zuerst im Kohlenkeller, dann auf dem Dachboden aufnahm. Schließlich flog das Versteck aber auf, ihre Helfer wurden erschossen, die Eltern ebenfalls, während Henriette erneut die Flucht gelang – diesmal in ein katholisches Waisenhaus, in dem sie unbehelligt bleib, bis einen Monat später die Rote Armee die deutschen Besatzer vertrieb. Nach einigem Hin und Her traf sie ihren Onkel Heinrich wieder, der als einziges weiteres Familienmitglied den Holocaust überlebt hatte und mit ihr nach Antwerpen übersiedelte.

Nach ihrem Schulabschluss studierte Henriette Kunstgeschichte und wurde Lehrerin. Anschließend ging sie für 13 Jahre nach Israel (1956-1969), arbeitete dort als Französischlehrerin und heiratete einen russischen Juden. Henriette hat zwei Söhne und drei Enkel und lebt heute wieder in Antwerpen. Sie ist Mitglied des polnischen Vereins „Kinder des Holocaust“, dem Juden angehören, die als Kinder den NS-Terror meist in Verstecken überlebt haben. Sie ist auch Malerin tätig.

Henriette Kretz erzählte nicht nur von sich, sondern erläuterte auch den Kontext, etwa zur NS-Rassentheorie und zur Ermordung der Juden sowie Sinti und Roma in Massenerschießungen und durch Gas. Mit ihren Fragen bezog sie die Schüler immer wieder ein und brachte ihne ihre Geschichte, aber ebenso die Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft sehr anschaulich nahe.

Den Kontakt zu Henriette Kretz stellte Helga König vom Maximilian-Kolbe-Werk her. Andreas Decker, Fachbetreuer für Geschichte am Camerloher-Gymnasium und Organisator der Schule für Zeitzeugengespräche, bedankte sich bei Helga Kolbe für ihr Engagement. Andreas Decker