Im Klosterhof stehen etwa zwanzig Menschen dicht beieinander, sie tragen dicke Winterjacken, wärmen sich die Hände an einem Kaffee. Immer wieder kommt jemand aus dem Haus und trägt eine prall gefüllte Tasche mit sich. Die Leute kennen sich, begrüßen sich - manche gehen nach wenigen Minuten wieder, andere bleiben länger.
von Katharina Horban

Das Haneberghaus der Obdachlosenhilfe St. Bonifaz bietet seit über 15 Jahren den nötigen Raum für die Essensausgabe, medizinische wie soziale Betreuung, Kleiderkammer und Sanitäranlagen. Es handelt sich dabei um ein funktionierendes und seit langem in München etabliertes Konzept, was nicht zuletzt an Emmanuel Rotter liegt. Der Q12-Religionskurs von Thomas Gottfried vom Camerloher-Gymnasium Freising ist für einen Vormittag zu Besuch im Kloster. Frater Emmanuel berichtet den Schülern auf eine sehr interessante und bewegende Weise von seinen Erfahrungen mit den Ärmsten unserer Gesellschaft.

"Wir wollen den Menschen in seiner Ganzheit sehen", ist sich der Benediktinerbruder sicher. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf bei Wasserburg am Inn, absolvierte er Hauptschule, Schreiner- und Krankenpflegerlehre. Die Berufung zum Glauben hatte sich jedoch in seinem Kopf festgesetzt, erzählt der 51-Jährige. 1990 kam er nach St. Bonifaz in München und hatte dort seinen ersten Kontakt mit Obdachlosen. Auch er hatte zuerst einige Vorurteile und Berührungsängste, ihm wurde aber schnell klar: "Das sind ganz normale Menschen wie Sie und ich." Schon Anfang der Neunziger Jahre wurden an der Klosterpforte regelmäßig Almosen an Bedürftige ausgegeben, die soziale Not in einer Großstadt wie München machte auch vor dem Kloster nicht Halt.

In dem jungen Mann wuchs schnell das Bedürfnis, mehr zu tun. Gemeinsam mit einem Mitbruder suchte er die Schlafplätze einiger Obdachloser auf: In den Nischen am Hautbahnhof erzählten ihnen die Menschen, wie sehr sie sich wünschen würden, für ein paar Stunden einmal sie selbst sein zu können. Aus der Idee wurde allmählich ein Projekt. Die beiden Benediktinerbrüder wandten sich an den damaligen Abt Odilo Lechner und baten um einen Raum, wo Bedürftige im Warmen einen Eintopf oder eine Suppe zu sich nehmen können. Und so für ein paar Stunden von der Straße herunterkommen. Anfangs waren viele der alten Mitbrüder dagegen, sie hatten Zweifel, ob die ambitionierten jungen Männer wirklich im Kloster bleiben und so ein Projekt stemmen können. Frater Emmanuel blieb und heute werden bis zu 200 Menschen täglich mit Essen versorgt.

Draußen und drinnen: In St. Bonifaz treffen zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, jeden Tag aufeinander. Das Engagement der vielen Ehrenamtlichen wird dringend benötigt, immer mehr Menschen fallen aus dem gesellschaftlichen Raster heraus. Laut Frater Emmanuel trägt die Einstellung, immer funktionieren zu müssen, dazu bei, dass Schwächere von der Gesellschaft nicht mehr so häufig mitgezogen werden. So hat sich die Zahl der Wohnungslosen in München seit 2008 verdreifacht: Von 2010 bis 2016 stieg die Münchner Bevölkerung um 160.000 auf 1,54 Millionen an, die Zahl der Wohnungen aber nur um knapp 37.000 auf 770.000. "Wir möchten als Gesellschaft vieles nicht mehr wissen", urteilt Frater Emmanuel. In seinen Augen hat sich die Obdachlosenhilfe in den letzten Jahren stark verändert. Aufgrund offener Grenzen und der Freizügigkeit der Arbeitssuche kommen vermehrt Ausländer nach St. Bonifaz, 2016 machten sie 63% der Bedürftigen im Kloster aus. Zudem lebten in diesem Jahr mit 53% noch nie so viele Menschen auf der Straße, nur 47% hatten eine Schlafgelegenheit. Viele Osteuropäer und Muslime sind inzwischen unter den Gästen im Haneberghaus. Frater Emmanuel reagiert gelassen: "Wir müssen uns halt anpassen. Die Hausordnung gibt es in 12 Sprachen, und anstatt Schweinegulasch servieren wir Rindergulasch." Viele dieser Menschen würden auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben blauäugig die Koffer packen und dann auf den Straßen Münchens stranden. Ohne Deutschkenntnisse und eine Wohnung haben sie keine Chance. Denn nur wer mindestens fünf Jahre in München gelebt und gearbeitet hat, hat Aussichten auf eine Sozialwohnung der Stadt. Und doch ist sich der Benediktinerbruder sicher: "Wir sehen alle unsere Gäste als Geschöpf Gottes an. Diese Menschen haben die gleiche Würde wie wir." Dabei sei jedoch stets wichtig, dass man nicht jedem helfen kann. Manche Obdachlose seien nicht resozialisierbar, das müsse man auch akzeptieren. Trotz der großen Hilfsbereitschaft kann nur mit einem Schutzschild um sich herum der tägliche Umgang mit den Menschen und ihren Geschichten über Jahre hinweg glücken.

Zweimal die Woche gibt es einen Frisör, der es den Obdachlosen wieder möglich macht, mit Würde in den Spiegel schauen zu können. Beim Duschen wird der Schmutz der Straße abgewaschen und in der Kleiderkammer erhalten sie neue Klamotten, sodass man laut Frater Emmanuel manche der Obdachlosen auf der Straße gar nicht als solche wiedererkennen würde. Ein besonderes Anliegen ist es dem Team, Obdachlose für die Arbeit in der Einrichtung zu gewinnen. Die Dankbarkeit dafür sei unendlich groß. Denn selbst die einfachsten Handgriffe geben den Menschen Struktur in ihrem Alltag und verpflichten sie, zu einer bestimmten Uhrzeit vor Ort zu sein.

Seine Motivation, den Ärmsten in München zu helfen, scheint nicht abzureißen. Immer wenn der Benediktinerbruder die frohen Gesichter sieht, die zu ihnen kommen, kann er nicht anders, als weiter zu machen: "Wenn sie uns sagen, dass wir für sie Heimat geworden sind..." Katharina Horban