„Sie werden zum Tode verurteilt!“ Diese erschütternden Worte knallte ein sowjetischer Oberst dem 19-jährigen Werner Dreyer im Januar 1950 entgegen. Wie konnte es dazu kommen?


Werner Dreyer, heute jenseits der 80, erzählte am Mittwoch, 21. September 2016, lebendig, spannend und immer wieder auch humorvoll den Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 10 bis 12 des Camerloher-Gymnasiums seine Erlebnisse als Jugendlicher in der sowjetischen Besatzungszone und frühen DDR. Aus dem polnisch gewordenenPommern 1947 vertrieben, ging er auf der Insel Usedom zur Schule. Einige Male fuhr er mit einem Freund nach West-Berlin, woher er als Reiselektüre Zeitungen mitbrachte. Mitschüler interessierten sich für die auf Usedom unbekannte Presse, sodass Werner sie weitergab. Das wurde ihm zum Verhängnis: Im September 1949 wurde er vom sowjetischen Geheimdienst zu Hause verhaftet, in mehrere Untersuchungsgefängnisse transportiert und in stundenlangen Verhören damit konfrontiert, er solle zugeben, Spionage für die USA betrieben und Mitglied einer antisowjetischen Organisation gewesen sein. Von seinen Mitgefangenen lernte er Klopfzeichen an die Wände als Kommunikationsmittel, von den sowjetischen Wachen den universell einsetzbaren Befehl „Dawai!“ Letztendlich wurde er wegen „antisowjetischer Propaganda und Verbreitung antisowjetischer Literatur“ verurteilt. Zum Tode zunächst. Dann, nach einigen Minuten, wurde er wegen seines geringen Alters zu 25 Jahre Freiheitsentzug begnadigt.

Anders als Zehntausende Deutsche wurde Dreyer nicht zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert, sondern an die DDR-Volkspolizei im Gefängnis „Gelbes Elend“ übergeben. Dort erlebte er den Aufstand der 6000 Gefangenen gegen die miserable Versorgung –„Die Deutschen haben uns schlechter behandelt als die Russen“ – und dessen blutige Niederschlagung durch das „Ernst-Thälmann-Bataillon“ mit Langknüppeln. Nach Brandenburg-Görden verlegt, hörte er während des Volksaufstands am 17. Juni 1953 die Rufe „Freiheit für die politischen Gefangenen!“ Als die Sowjetunion sein und viele andere Urteile aufhob, wurde Dreyer im Januar 1954 entlassen und durfte direkt zu seinen Verwandten in die Bundesrepublik ausreisen.

Die Schülerinnen und Schüler lauschten Dreyers teils gelesenen, teils frei gesprochenen Erinnerungen gebannt und hatten die Möglichkeit, dem Zeitzeugen Fragen zu stellen. Andreas Decker